Das Interview führte Tim Schwarz für "Elektromusik Online". FORTSETZUNG VON TEIL 3:
EMO: Und sagen Sie oder schreiben Sie da immer die Wahrheit?
Sauer: Was ist schon die Wahrheit? Ich vermische in meinem Blog meine Erfahrungen mit allgemeinen Informationen. Und in der Regel denke ich schon, dass ich zu den Dingen stehen kann, die ich veröffentliche. Wenn ich zum Bespiel sage, der YAMAHA CS1x kann mit dem Roland JD-800 verglichen werden, dann ist das eine prinzipielle Aussage. Natürlich klingt jedes Gerät objektiv anders, lässt sich unterschiedlich leicht bedienen uns so weiter. Ich sage damit nicht, oder: ich rate dami niemandem der sich für knapp 1.000,-- Euro einen gebrauchten JD-800 kaufen will, dass er sich für das gleiche Geld einen CS1x kaufen kann oder soll. Das gäbe große Enttäuschungen. Ich sage auch nicht: kauft alle den Blofeld von WALDORF, denn der ist genau so "gut" wie die besten WALDORF-Produkte. Wenn dem so wäre, würde WALDORF seine Kunden über den Tisch ziehen, wenn sie zum Beispiel für den Q knapp 3.000,-- Euro verlangen, für ein Blofeld-Keyboard aber nur 700,--. Und doch vereint der Blofeld das ganze Wissen, die ganze WALDORF-Technologie in sich und kreiert geniale Sounds. Also: Was ist hier die "Wahrheit"?
EMO: Was macht einen guten Elektromusiker aus? Was sind für Sie die Kriterien?
Sauer: Ein guter Elektromusiker muss verrückt sein und ist es wohl auch, jeder auf seine Art. Warum er verrückt sein muss? Ganz klar: Er macht nichts Geringeres, als den Urknall in Töne zu fassen, ihn sozusagen zu zähmen. Elektrizität ist eine Form des Urknalls. Den versucht man zu beherrschen und in Bahnen zu lenken, damit das Publikum etwas Kreatives davon hat. Die Menschen sollen sich nichts davon erzählen lassen, dass Wissenschaftler an der Erforschung des Urknalls arbeiten. Sie sollen in ein Konzert mit Elektromusik gehen, da erleben sie das Live.
EMO: Wie verrückt sind Sie?
Sauer: Zuerst einmal bin ich ein Elektronik-Junkie. Was ich mir schon alles in dieser Richtung gekauft habe, ausprobiert und getestet habe, das kann ich hier gar nicht erzählen, das würde niemand glauben. So etwas kostet Geld und geht erstens nur mit einem begrenzten finanziellen Budget, das man sich dadurch erhält, dass man die Sachen, die sich als nicht "lebensnotwendig" herausstellen, schnell wieder weiterverkauft. So habe ich über die Jahre nur das behalten, was für mich und meine Musik sinnvoll und praktikabel ist, selbst wenn man es nicht lebensnotwendig braucht. Nehmen wir mal den "Elektronischen Hindu" ... obwohl das eine politisch nicht korrekte Bezeichnung ist, denn in Indien spielen fürwahr nicht nur Hindus die Tabla. Ich hatte von dem Ding erzählt bekommen und wollte das mal ausprobieren: einen indischen Drumcomputer mit Tabla Sounds.
Dann kam es an, "directly" from Jaipur", ich packte es aus, schloss es an einen Verstärker an und es war einfach genial. Ganz anders als bei einem Band, konnte man hier live und direkt die einzelnen Phrasen bearbeiten, Tonhöhe und Geschwindigkeit anpassen. Ich habe das dann auch schon mal live eingesetzt und heute ist das, obwohl nur eine Nebeneffekt, für viele Fans gar nicht mehr wegzudenken. Ohne diese Mentalität des stetigen Ausprobierens wäre das niemals entstanden.
Ein ganz anderes Beispiel meiner Verrücktheit ist, dass ich meine Geräte hin und wieder in einem Synthesizer-Fachgeschäft pflegen und nachschauen lasse, also wir reden hier wirklich über alle Synthesizer, Klangmaschinen und so weiter, damit sie immer in gut funktionierendem Zustand sind. Ich habe so rund 150 dieser Geräte und das Hegen und Pflegen kostet eine Menge Geld. Es ist auch meiner Sicht aber notwendig und Firmen wie Touched-By-Sound kümmern sich wirklich rührend um meine Sachen. Da kann man sich als unabhängiger Beobachter schon einmal fragen, was man mit dem Geld alles hätte machen können. Aber ich kann mich mit allen technischen Problemen schnell und effizient an TBS wenden. Manchmal reicht schon eine Mail meinerseits, nebst angehängtem Soundfile um das Problem zu erklären, und Mike Thorpe (Anm.: der Chef von "Mode Machines" und "TBS" / siehe Foto links) schreibt mir auf seinem iPad 'ne E-Mail aus New York, wie es weitergehen soll. Und ein Satz wie "Wir kalibrieren das", der beruhigt schon ungemein.
EMO: Wie sieht Ihre Verrücktheit live aus, wenn Sie, wie Sie sagen, "den Urknall zähmen"? Vom "Elektronischen Hindu" hatten Sie ja eben schon erzählt.
Sauer: Andere halten sich da schon einiges vom Leib von dem, was ich live mache. Oder ziehen sich einen passablen musikalischen Anzug an. Ich nehme die Gelegenheit des Livespielens beim Schopf und rückte ihr mit stetiger Neugier, Gestaltungswillen und forschendem Verstand näher, bis die Livesituation einen Spaltbreit Einzigartigkeit preisgibt, an dem ich herumzerren, -träumen, -phantasieren kann. Um zum Kern der Idee und des Klanges vorzustoßen. Ich gebe immer alles, also auch meine ganze Keyboard- und Expanderburg ... besser gesagt: die halbe, denn auf mein Bühnenequipment kommt in etwa noch einmal die gleiche Menge an Geräten, die im Saalbahnhof verbleiben. Und viele Sachen habe ich dazu auch noch doppelt. Für die doppelte Freude.
EMO: Weshalb haben Sie verschiedene Musikinstrumente auf der Bühne doppelt? - Das ist übrigens eine Frage, die von Fans gestellt wurde.
Sauer: Das ist ganz einfach zu beantworten, ich würde das aber lieber einmal getrennt von diesem Interview machen. Andere Fragen auch, die Fans hin und wieder stellen. Das würde, denke ich, hier den Rahmen des heutigen Interviews wirklich sprengen.
EMO: Aber es stimmt doch, dass Sie Ihre Auftritte in zwei separate Abschnitte teilen, einmal haben Sie hierzu "Akte" gesagt, wie in einer Oper...
Sauer: ...oder einem Film. Zum Beispiel "Kill Bill Vol. 1" und "Klill Bill Vol. 2"...
EMO: ...das hat doch bestimmt einen Hintergrund.
Sauer: Natürlich. Ich habe ja immer auch viele neue Gäste im Publikum und die gilt es zu erobern. Der erste Teil des Auftritts dient dazu, Klänge, Melodien, Figuren einzuführen. Im zweiten Teil kennt der Zuhörer dann schon die, ich nenne sie jetzt mal ganz unbescheiden, "Protagonisten" meiner Musik und ich brauche da nicht mehr viel zu erklären...
EMO: ...was bei Ihnen ja die Beamer-Präsentation übernimmt...
Sauer: ...ganz genau. Jedenfalls kann man sich im zweiten Teil des Konzertes auf die Dinge einlassen, die da auf einen als Zuhörer zukommen und spüren, wie sich ein Puzzle langsam zusammensetzt. Im ersten Teil ist man naturgemäß viel aufgeregter und erkundet die Dinge erst einmal.
[...to be continued...]
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