Das lange A-U-T-O-B-A-H-N Interview mit Rainer Sauer | Teil 2: Darüber, was Alphaville mit Madonna gemeinsam haben und den ultimativen Synthesizer

Das Interview führte Tim Schwarz für "Elektromusik Online". FORTSETZUNG VON TEIL 1:

EMO: Lernt man viel, wenn man, wie Sie sagen, mit offenen Ohren durch die Welt geht? Und was könnte das sein?

Sauer: "Mit offenen Ohren" soll ja darauf hinweisen, dass es keine gespräche sind, aus denen wir lernen können. Interviews habe ich seit 1976 geführt, das erste übrigens mit Mike Krüger, und das hatte rein gar nichts mit Elektromusik zu tun. Aus Interviews kann man eine Menge Informationen für sich schöpfen und, wenn der Gegenüber ein Mensch ist, der etwas mitzuteilen hat, wie etwa Erich von Däniken, dann hat das auch etwas mit Information über das Interview hinaus zu tun. Aber die "offenen Ohren", das sind oft die kleinen Feinheiten zwischenden Fakten. Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Schwierig zu beantworten, wenn es um Musik geht.

Nehmen wir mal Alphaville. Im Januar 1984 kam ihre erste Single "Big in Japan" wie aus dem Nichts auf den ersten Platz der U.S.-Dance-Charts. Aber: "wie aus dem Nichts" ... kann so etwas sein, wenn man nicht Bob Dylan heißt? (Sauer lacht!!) Sicher. Und so etwas hat dann auch weltweiten Erfolg und wird kopiert. Sogar von den ganz Großen. Natürlch dezent, unauffällig.

Wer sich mit offenen Ohren durch die Zeit treiben lässt, der bemerkt zum Beispiel, dass es drei Jahre später einen ganz ähnlichen Song gibt von Madonna, "La Isla Bonita", der einiges vom Rhythmus her von Alphavilles "BIJ" übernimmt. Oder nehmen wir Alphaville selbst: Frank Mertens, die treibende Kraft hinter den ersten Alphaville Hits, der stieg schon 1984 aus. "Mertens" ist allerdings nur sein Künstlername, bürgerlich heißt er Frank Sorgatz. Es gab aber damals in der Alphaville-Konkurrenz-Band Propaganda - bekannt geworden u. a. mit "Mabuse" und "P-Machinery" - einen Herrn namens Michael Mertens und so kam Frank Sorgatz zu seinem Künstlernamen. Das sind für manche Menschen Informationen, deren Abspeicherung im Gedächtnis sinnlos ist. Für mich ist so etwas aber wichtig für's Gesamtbild, wie hier das der Elektromusik, und so setzt sich mit der Zeit alles wie in einem Puzzle zusammen und manche Dinge werden einem klarer als zuvor.


EMO: Sie erwähnten Peter Baumann und dessen "Audity"-Synthesizer Projekt. Was gibt es darüber zu wissen?

Sauer: Ohne die richtige Einleitung, wäre das nur ein Crashkurs in Sachen Audity. Wenn Sie gestatten, hole ich etwas weiter aus.


EMO: Bitte!

Sauer: Gut: ich kann meine frühen Elektroklangmethoden der 70er Jahre reproduzieren, mit dem UKW-Radio, dem Elektronik-Blitzgerät, dem Taschenrechner und der Digitaluhr. Ja, ICH war tatsächlich Kraftwerks "Musikant mit Taschenrechner in der Hand", das muss so um 1974/75 gewesen sein, also das war schon immer für mich "mein" Song und wenn ich das heute zu Beginn der "A-U-T-O-B-A-H-N" -Konzerte auf der Bühne mache, staunen die Menschen sehr darüber und wundern sich, wie einfach Elektromusik gemacht werden kann. Dann finde ich mich natürlich noch immer in den Synthesizerwelten der 80er Jahre zurecht und fast alle Klangerzeuger der 90er Jahre sind noch intakt und klingen so, wie sie sollen.

Aber was wäre ich in der Klangwelt der Neuzeit ohne die ganz modernen Maschinen wie etwa den E-MU Audity 2000? Ohne eine Soundgeneration, wie sie der Audity 2K dem Musiker zur Verfügung stellt, wäre der Soundtrack von "Tron Legacy" undenkbar, wäre "Tour de France Soundtracks" seines Grundklanges beraubt, die Technomusik zur Jahrtausendwende im Sumpf stecken geblieben. Doch was macht den modernen Audity so innovativ?

Zum einem ist er einem der legendärsten Elektromusikinstrumente aller Zeiten nachempfunden: dem originalen Audity Synthesizer. Für ihn hat Peter Baumann einst Tangerine Dream verlassen, getreu dem Grundsatz: "Opfer müssen gebracht werden". Zweitens baut der Audity 2K seine aktive Klangbeeinflussung auf E-MU Systems bewährter Synthese-Architektur (mit Z-Plane-Filtern, wechselnden Hüllkurven etc.) auf. Als Klanggerüst dienen hierbei 32 MB an ROM-Wellenformen, die viele moderne Musikstile von Urban, HipHop, Dance, Electro bis Techno abdecken. Zusammen mit der Klangformung aus Filtern, Hüllkurven, Arpeggiatoren und syncbaren Modulatoren, werden im Audity 2K rhythmische Texturen möglich werden. Das Klangbild erweitern dann zwei Effektblöcke mit Standards wie Reverb, Delay, Chorus, Phaser und so weiter. In seinem unfassbar großen Bauch hat der Audity 2K insgesamt 640 ROM- und 256 User-Presets und er ist darüber hinaus 64stimmig polyphon spielbar/ansteuerbar.

Aber nun zu Ihrer eigentlichen Frage, zur Historie: Es war einmal...und war doch nicht. 1977 hatte ein Tangerine Dreamer einen Traum. Was wäre, dachte Peter Baumann, wenn man einen ultimativen Synthesizer konstruieren und vermarkten würde? Er schmiss seinen Job dei TD, investierte Geld und Ideen, fand mit der Firma E-MU Systems Inc. einen Partner und...voila...der Audity war geboren. Zumindest als Konzeptidee. Das war 1978.

Schon zuvor hatte sich Baumann Synthesizer nach eigenen Ideen bauen lassen und bei TD eingesetzt. Nun aber wollten Dave Rossum und Scott Wedge (eher bekannt unter ihrem Firmennamen E-MU) angesichts eines expandierenden Synthesizermarktes und unter dem Eindruck des Erfolgs von Geräten wie Sequential's Prophet-5 ein Stück vom großen Kuchen abbekommen. Baumanns Synthesizerkonzept schien beiden eine erfolgreiche Option hierfür zu sein: ein 16-stimmiger Synth mit einer Masse an Programmierungsmöglichkeiten und hoher Stimmstabilität durch neueartige Computerbauteile und -controllerkarten: der "Audity" war geboren.

Unglücklicherweise wurde das Instrument mit einem Startpreis von 70.000 US Dollar (und der Kurs stand damals bei über 2 DM pro Dollar) so teuer, dass niemand auf der Welt einen Audity kaufen wollte. E-MU zog, kurz vor der Firmenpleite, die Notbremse, stoppte die Audity-Produktion noch bevor diese richtig begonnen hatte und wandte sich einem anderen Geschäftsfeld zu, dass damals gerade das australische Fairlight CMI (= Computer Musik Instrument) und der Crumar G.D.S. erschlossen hatten: der Sampler wurde geboren. E-MU Systems kam mit dem Emulator auf den Markt, der sogar noch etwas preiswerter war, als es der Audity hätte sien sollen und man eroberte damit die halbe Welt.

Seinen Audity hatte E-MU allerdings bie wirklich aus den Augen und aus dem Sinn verloren. Und als man kurz vor der Jahrtausendwende seinen Proteus Klangmodulen eine neue Klangarchitektur verpasste, übernahm man bei E-MU das neue Bedienungsdesign für eine Klangsynthesemaschine namens Audity 2000, oder wie ich ihn nenne: 2K (Anm.: auf dem unteren Foto in der Mitte der drei Module).

Heutzutage gibt es weltweit ein einziges Exemplar der E-MU Audity Serienproduktion, logischerweise mit der Seriennummer 0001. Es steht in der "Synthesizer Gallery" der Cantos Music Foundation in Kanada. Da der Audity niemals endgültig fertig gestellt wurde ist er inzwischen so etwas wie ein Ausstellungsstück, wie der ultiative Synthesizer hätte sein können - vergleichbar mit einer weit entwickelten Konzept-Studie eine Fahrzeugs, das dann doch nicht in Serie gebaut wurde. Obwohl der Audity 2K den Namen mit dem Original gemeinsam hat, so ist es doch ein völlig anderes Instrument, dessen grundsätzlicher Klangaufbau den Proteus-Modellen von EMU ähnlich ist.

Um sich den Klang eines Audity 2K vorzustellen (und man bedenke schon hier: EIN Klangbild aus tausend unterschiedlichen Möglichleiten) erinnere man sich an die EInleitung zu den "Tour de France Soundtracks" von Kraftwerk. Ja, genau so kann der Audity klingen. Doch der Audity 2K ist ein digitaler Synthesizer mit beispiellosen 16 Arpeggiatoren, die man gleichzeitig (!) arbeiten lassen kann. Es mag sein, dass einige Leute denken, der Audity 2K habe einen "blechernen" Oberton. Das liegt an den 12-poligen digitalen Resonanz-Filtern und ist so. Aber wenn man noch andere Elektromusikinstrumente "im Angebot" hat, wie man so schön sagt, dann ist er eine wunderbare Ergänzung des Gesamt-Klangbildes

[...to be continued...]

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