"Ich denke: 'Augmented Sounds' sind eine logische Entwicklung innerhalb der Elektromusik": Rainer Sauer im MusikMesse Interview 2013


Herr Sauer, auch wenn viele Menschen, die sich für Synthesizer- oder Technomusik in Deutschland und weltweit interessieren, Sie und ihre Musik noch nicht wirklich kennen, sind Sie doch schon sehr lange in der Szene aktiv. Wann haben Sie angefangen, Musik zu machen und war das gleich elektronische Musik?

1974 habe ich angefangen, eigene Musikstücke zu spielen und weil ich damals weder Gitarre noch Keyboards spielen konnte, war es in der Tat so eine Art von elektronischer Musik. Man darf aber nicht vergessen, dass mich diese Musik schon als junger Mensch sehr fasziniert hat und 1972 kannte ich bereits die ersten Alben von Kraftwerk, die Musik von Walter Carlos, Bands wie Cluster oder Emerson, Lake and Palmer und natürlich "Popcorn", den damaligen Synthesizer-Welthit. Später habe ich Gershon Kingsley, dem Komponisten von "Popcorn", dessen Kurzweil 250 Computer Keyboard abgekauft (Anmerkung: siehe Foto oben):

Also eigentlich eine logische Entwicklung.

Auf jeden Fall...also in meinem Fall...nicht unlogisch.

Diese Entwicklung setzte sich später fort mit den Bands, in denen Sie mitwirkten, und als Moderator der Sendung "Sounds vom Syntheiszer" beim Hessischen Rundfunk. Erzählen Sie uns etwas darüber.

Meine erste Band hieß "Melvin Dawson And Friends" und war eine Folk-Rock-Band. Aber schon die zweite names "April" hatte elektronische Klange im Repertoi und ich habe mit Tapes gearbeitet und bei unseren Live-Gigs kleine Sound-Gimmicks eingespielt. Das war 1977. Ich war halt schon immer ein großer Fan von dem, was Brian Eno gemacht hat, der ja bei "Roxy Music" mit solchen Dingen angefangen hatte. Danach gab es "Empty Sky", dort habe ich Synthesizer und Keyboards und Gitarre  gespielt und dann kam es schon zur Gründung von "Velvet Universe." Damit waren wir zwischen 1981 und 1985 recht erfolgreich in Deutschand, Italien, England und den USA und diese Mischung aus praktischer Musikerfahrung, theoretischem Wissen und meiner journalistischen Arbeit, denn damals habe ich für drei Zeitschriften gearbeitet und z. B. Interviews gemacht, fürhte dann zu dem Job bei hr3.

Sie haben ja schon die unterschiedlichsten Menschen interviewt und getroffen: Jean Michel Jarre, Mike Oldfield, Tangerine Dream, Ash Ra, Klaus Schulze, Michael Rother, Synthipop-Musiker wie Propaganda, Howard Jones und so weiter. War Eno auch schon dabei?

Weder Eno noch Bono. (Sauer lacht!) Aber das ist ja auch gar nicht notwendig. Wenn er mit mir reden will, dann wird er schon kommen. (Sauer lacht noch mehr!)

Aber er hat sie schon schwer beeindruckt.

Mit allem, was er gemacht hat. Es ist unbeschreiblich. Er ist als Mensch und Musiker gleichermaßen faszinierend.

Stichwort "Ambient Music".

Genau. Ambient Music war eine Notwendigkeit der 70er und 80er Jahre. Brian Eno hat dies als erster erkannt. Neben gebrauchsorientierter Elektromusik und experimenteller war die Ambient-Komponente eine Erweiterung der Funktionalität. Anders als z. B. Elektronik-Rock, bei dem man Rockelemente mit Elektromusikparametern gemischt hat, Das ist ein Bastard, während Ambient Musik unschuldig und rein war. Selbst heute gibt es ja noch die im Grunde klassichen Elektronik-Rockmusiker wie etwa Project Pitchfork. Das ist nichts Neues, denn solche Sounds haben vor zwanzig Jahren schon Ministry auf ihrem Album "Twitch" gemacht. Aber Ambient Music hat sich entwickelt, hat die ganze meditative Richtung der Elektromusik angeschoben, hat etwas bewirkt. Die Ansätze und Intentionen von Eno waren da schon vollkommen richtig und wichtig. Aber heute macht er ja etwas ganz anderes mit seiner Generative Music. Elektromusik, die sich selbst erzeugt nach dem Chaos-Prinzip aus einer Vielzahl von Vorgaben.

Sie arbeiten an einer Musik, die Sie "Augmented Sounds" nennen, abgekürzt "AS". Der Begriff der "Augmented Reality" hat sich im Internet bereits etabliert. "AR" ist - soweit ich das verstanden habe - die physische, reale Umgebung, deren Elemente durch computer-generierten sensorischen Input wie Klang-, Bild- oder GPS-Daten ergänzt wird. Was darf man unter "AS" verstehen?

Heutzutage wird die allgemeine Wirklichkeit durch eine - ich nenne sie einmal - vermittelte Wirklichkeit ergänzt. Es wird also unsere Sicht der Wirklichkeit geändert, "augmented" sagt der Amerikaner, also vervielfacht. Das verbessert die eigene aktuelle Wahrnehmung der Realität. Im Gegensatz dazu ist die virtuelle Realität eine Simulation der realen Welt mit allen ihren Nachteilen. Ein einfaches Beispiel: Während man fernsieht werden häufig unten im Bild Nachrichten eingeblendet, die unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussen: Sportergebnisse, der Tod eiens Menschen, Naturkatastrophen und so weiter. Das ist keine virtuelle Realität wie "Second Life" oder "World Of Warcraft" sondern eine erweiterete, vervielfachte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Google geht mit seiner Brille ebenfalls den Weg, dem Träger Objekte, Daten, Informationen über die Umgebung interaktiv zu liefern. In Autos werden Infos oder Navigationshilfen auf die Frontscheibe gespiegelt. Und ich liefere dem Hörer eben ein erweitertes, vielfältiges Klangbild: "Augmented Sounds". Dabei bekommt das Ohr ein Vielzahl von akustischen Zusatzinformationen zum aktuellen Klang oder der Musik. Ich habe für mein neues Album "Moods" einen Titel aufgenommen, der "Wide Angel And Zoom" heißt und eine Hommage an Brian Eno ist. (Sauer lacht!) Schon wiedr Eno - ja, ich weiß...jedenfalls verändern sich zwei Klangschleifen der 'Buddha Machine' gegenläufig als 'Augmented Sound' über verschiedenste Wege vom Kunstkopf-Klang über ein Stereo-Abbild zum monoauralen Klangbild. Dabei weitet sich der für das Ohr zu hörende Raum ständig von einem kleinen Zimmer in eine riesige Halle. Es ist im Grunde ganz einfach, mit unterschiedlichen Klangräumen die reale Welt zu überlagern. Ich denke: "Augment Sounds" sind eine logische Entwicklung innerhalb der Elektromusik.

Derzeit sind Sie in Frankfurt am Main bei der MusikMesse. Wie wichtig ist so eine Veranstaltung für Sie?

Es ist ein Pflichtermin, den ich seit 1979 immer wieder gerne wahrnehme. In den 80er Jahren war ich sogar einmal bei der Messegesellschaft angestellt und habe Vorträge gehalten. Ich habe hier in Frankfurt schon früh Leute wie Adrian Wagner getroffen, Peter Vogel oder den gerade verstorbenen Reinhard Lakomy, habe gemeinsam mit Christopher Franke oder Patrick Moraz Messerundgänge gemacht und im letzten Jahr zum Beispiel mit Bernd Kistenmacher. Als jemand, der bis 1991 in Frankfurt am Main gelebt hat, war und ist es obligatortisch die MusikMesse zu besuchen. Mit dem schweizer Filmemacher Andreas Henkel habe ich in den 1990ern sogar einen kleinen Dokumentarfilm über die Messe gedreht. Es ist erstaunlich, was damals angesagt war und heute schon fast vergessen ist. Faszinierend!

Vor einiger Zeit haben Sie im Radio erzählt, sie möchten gerne einmal nach Wolperath fahren, dorthin, wo das Tonstudio von Conny Plank war, und dort etwas aufnehmen. Waren Sie schon dort und was ist das für eine Aufnahme?

Meine Frau und ich fahren im Mai nach Köln um dort Freunde zu treffen und ein wenig auszuspannen. In Köln nehme ich auch zwei Musiktitel auf. Und in der Tat werde ich dann nach Neunkirchen-Seelscheid zur Hennefer Straße 19 fahren, da steht inzwischen ein neues Haus, aber die Landschaft drumherum ist immer noch so wie früher und gegenüber dem ehemaligen Studiogelände gibt es einen kleinen Wald und da mache ich einige Kunstkopf-Aufnahmen der Natur und die kommen dann als Bonus auf das "Moods"-Album mit dazu. Sozusagen "The Nature Of Connys Studio".

Da Sie gerade selbst die "Buddha Machine" erwähnt haben: Was verbirgt sich hinter diesem Mysterium? Auf der MusikMesse findet man das nicht. Immerhin soll Brian Eno gesagt haben, dass diese Maschine die Welt verändern könnte.

Wie bei vielen anderen Äußerungen von Eno muss man auch das relativieren. Die "Buddha Machine" ist eine Erfindung der beiden chinesischen Musiker und Performancekünstler Zhang Jian und Christiaan Virantonen. Sie sieht aus wie ein kleines Transistorradio und verbreitet nach dem Einschalten tatsächlich den Charme dieser Geräte aus den späten 60er Jahren. Jeder von uns hatte als Kind wohl einmal so einen Transistorempfänger und tatsächlich knarzt, fiept und dröhnt es, wenn man den Lautstärkeregler andreht. An der Seite der "Buddha Machine" ist ein Schalter, durch den man zwischen neun verschiedenen Klangschleifen hin- und herschalten kann. Teilweise kann man auch noch die Tonhöhe verändern. Es ist auf jeden Fall ein schönes kleines Audiogerät um damit Klangebenen zu erzeugen. Ob es die Welt verändern kann, das weiß ich nicht. Brian Eno hat auf jeden Fall acht solcher Klang-Maschinen, eine Kunstgalerie in Rom installierte 2010 fast tausend "Buddha Machines" an ihren Wänden um so eine transzenentale Atmosphere zu erzeugen. Man kann mit den Geräten also viel machen. Allerdings scheint es nur ein Gerücht zu sein, dass sich der Geist von Buddha im Innern der "Buddha Machines" versteckt.

Wie viele "Buddha Maschinen" haben Sie und benutzen Sie die auch bei Ihren Konzerten?

Ich besitze vier. Eine von jeder Generation, die bis heute veröffentlicht wurde und alle vier nehme ich im Moment auch mit auf die Bühne. Es ist schon ein Kangerlebnis, wenn gleichzeitig aus jeder Seite der 4-KLANG Soundebene eine dieser Maschinen zu hören ist. Aber ich habe ja auch andere Maschinen auf der Bühne. Zum Beispiel den "Electronic Hindu", eine digitale TablaMachine mit Sitar-Expander oder die "Bach Maschine", eine Erfindung von mir, die live kleine schöne Komposition aus dem unermesslichen Repertoi von Bach-Melodien generiert, die als kleiner Gag mit den Geräuschen eines fließenden Bachs unterlegt sind. Also man kann schon sagen, dass ich Generative Musik mag.

Wie kommt man auf so eine Idee, eine "Bach Maschine" zu erzeugen?

Ich habe schon immer elektronische Geräte erdacht und gebaut. Als Jugendlcher habe ich mir meinen ersten Synthesizer selbst gebaut, weil ich kein Geld hatte, mir einen - in Anführungsstrichen - "richtigen" Synthesizer ztu kaufen. 1980 habe ich dann eine kleine Entwicklungsfirma mit Cassettenlabel gehabt, namens "Electronic Conceptions" oder ELECON. 1986 hieß das Ganze dann "Digital Musical Sounds" / DMS und ich arbeitete mit Kosta Kostis zusammen z. B. auf der MicrocomputerMesse in Frankfurt, Dort stellten wir die ersten Digital Drums für den COMMODORE 64 Homecomputer vor und ein MIDI-Mini Interface, Außerdem habe ich da schon Sounds entwickelt für den COMMODORE 64 SoundSampler. "50 Sounds To Feed Your Samper" hierß dass damals. Und auch heute noch arbeite ich mit Firmen zusammen wie Tone2. Da gibt es ja sogar einen Software-Synthesizer, der "Saurus" heißt. Die Idee zur "Bach Maschine" kam mir schon in den 90er Jahren, aber erst vor etwa drei Jahren habe ich Leute gefunden,d ie meine Ideen in Hardware umsetzen konnten. Zu kaufen gibt es das aber nicht. Nur live zu hören.


Das Interview führte Tim Schwarz © 2013 für "Rhein Main Radio". Fotos © photomana. Rainer Sauer ist noch bis zum 13. April 2013 auf der Frankfurter Musikmesse. Unter anderem am Stand von "Best Service Software".Im Laufe des AJhres tritt Rainer Sauer wieder live auf im Rahmen seinr "Non Plus Ultra"-Tour, unter anderem in Frankfurt, Köln, Hamburg , Jena und Gütersloh.

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