Das lange A-U-T-O-B-A-H-N Interview mit Rainer Sauer | Teil 1: Über Emulatoren, Veränderungen und einen Ozean aus Melodien

Das Interview führte Tim Schwarz für "Elektromusik Online".

Sauer: Das ist nett, dass Sie mich aufsuchen. Aber gerade heute habe ich wenig Zeit. Sie könnten, wenn Sie möchten, Ihre kostbare Zeit auch mit den beiden Katzen meiner Tochter verbringen und ich arbeite dann solange...

EMO: Oh, wir wollten nicht stören, aber Ihr neues Projekt A-U-T-O-B-A-H-N fordert zu einigen Fragen heraus. Die Idee, die Geschichte der Elektromusik live zu erzählen und zu spielen zählt zu den spannendsten Projekten in diesem Jahr. Und Sie machen dabei fast alles allein.

Sauer: Musik zu spielen und zu schreiben versetzt mich nach wie vor in glückliche Euphorie. Es war für mich in der Vergangenheit immer toll, mit anderen Musikern zu arbeiten, aber es wird mir inzwischen zu anstrengend und mit zunehmendem Alter empfinde ich es wirklich als Zeitverschwendung. Jeder kann doch heutzutage alles selbst machen.

EMO: Wie kommt es dazu, dass Sie heute weniger "echte" Musikinstrumente und verstärkt sogenannte Emulatoren einsetzen?

Sauer: Wer über meinen privaten, beruflichen und künstlerischen Werdegang und mein Verhältnis zu Synthesizern, Technik und Musik etwas erfahren möchte, kann das auf auf meiner Website (Anm.: HIER) nachlesen. Viel Spaß dabei. Nun aber zu Ihrer Frage und zu den einzig wahren Emulatoren (Anm.: lat. von "aemulare = "nachahmen“) und zwar denen, die die amerikanische Firma EMU Systems in den Achtziger und Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf den Markt brachte.


Als Elektromusiker und langjähriger technischer Entwickler und Tüftler war ich im August 1981 natürlich interessiert und aufgeregt, als Thomas Kapke und ich in Berlin-West einen ganzen langen Nachmittag mit Christopher "Chris" Franke von Tangerine Dream verbringen durften. Der führte uns durch sein "kleines" TD-Studio (welches er in einem ehemaligen Kinosaal untergebracht hatte), erzählte uns von Peter Baumann und dessen legendärem "Audity"-Synthesizer-Projekt und brachte uns geduldig die einzelnen Komponenten der Tangerine Dream Musik dieser Zeit näher. Gerade war dasTD- Album "Exit" fertig gestellt und auf ihm hatte Chris zum ersten Mal aktiv mit gesampleten Klängen gearbeitet, wobei er hierfür einen EMU Systems Emulator einsetzte, der gerade auf dem Markt gebracht worden war; in den freien Verkauf kamen die Emulatoren übrigens erst Anfang 1982.

Bei Franke durfte ich damals zum ersten Mal auf einen solchen Emulator spielen und Chris erklärte mir geduldig die einzelnen Funktionen. Wie so oft wurde der eigentliche Grund des Besuches, nämlich das Interview (dieses Mal für die Zeitschrift "Synthesizer Magazin"), eher zur Nebensache, so interessant war es bei Chris "zu Hause".

Auf der Musikmesse 1983 verabredeten wir uns dann zwecks eines Besuchs beim Stand von EMU Systems und, obwohl Chris dort mit einem ganzen Tross an Freunden (und mir) einlief, nahm man sich genügend Zeit um jedem einzelnen Gast den brandneuen Emulator II vorzuführen...vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass es ein Presse- und Händlertag und kein Publikumstag war.

EMO: Heute haben Sie selbst gleich zwei Emulatoren auf der Bühne. Welche Funktion haben diese Geräte?

Sauer: Den einen EMU 64 habe ich schon seit 2003 live dabei, lange Zeit begleitet von einem EMU ESi32 mit fast identischem Soundpool. Aber so lernt man dann doch die Unterschiede zwischen beiden Geräten kennen. Sicher: der ESi32 ist schneller als der Emulator 64, der ja der kleinere Bruder des Emulator IV ist. Aber der EMU 64 hat eben die grandiosen Emulator IV Filter und der ESi32 hat etwas schlechtere, weshalb es heute bei mir zwei EMU 64 Sampler sind. Die Funktionen sind vielseitig. Ich steuere einen über das EMU Longboard, zusammen mit dem EMU Proteus, der andere ist an meine Sequenzer-Unit angeschlossen und für den 4-Klang-Sound zuständig, wird über das OBERHEIM MK-1000 angesteuert und verwaltet (Anm.: auf dem obersten Foto dieses Themas ist links einer der EMU 64 zu sehen und rechts das OBERHEIM Masterkeyboard). Es gibt immer etwas, was man vom EMU 64 in das Soundbild mit einbauen kann.

EMO: Was machen Sie in Ihrer Musik heute anders als noch vor dreißig Jahren?

Sauer: Ich habe mir da viel von Mike Oldfield und Edgar Froese von TD abgeschaut, besser gesagt: abgefragt, denn ich durfte beide ja mehrmals in meinem Leben persönlich kennen lernen. Oldfield wie Froese haben ihre langen Werke stets mit einem Überbegriff gekennzeichnet, z. B. als "Incantations - Part 1" oder "Tangram - Set 2", das Ganze für sich aber in die musikalischen Einzelstücke zerlegt, die vom großen, langen Werk unabhängig sind. So hat "Incantations" Einzelteile, die Oldfield z. B. "Diana", "Hiawatha" oder "Canon For Two Vibraphones" genannt hat und Froese kennt in "Tangram" Einzelteile wie "Wu Wei", "Point Of No Return" oder "Dream Puzzle". Das gibt es auch bei mir. "Moon Mirror" ist u. a. unterteilt in Episoden wie "Prophecy Theme", "Terry Coda" oder "Riff Tango". Und in einer anderen Konstellation gibt es den "Riff Tango" mit einem Vorspielteil namens "Chiba City Blues". So kann man sich ein Puzzle an EInzelteilen zusammensetzen und kombiniert das dann zu einem neuen, längeren Werk mit neuem Titel.

EMO: Es wird über Sie berichtet, dass Sie Musiker, mit denen Sie im Studio zusammenarbeiten, zum Einkaufen oder Spazierengehen schicken, bevor Sie deren Liedfragmente bearbeiten. Weshalb?

Sauer: Es gibt in Wales ein Sprichwort, das ins Deutsche übersetzt bedeutet, man solle sich heraushalten, wenn Würstchen oder Politik gemacht werden, sprich: die Drecksarbeit. (Sauer lacht!) Das Ergebnis ist es, das zählt, nicht die blutigen Zutaten. Wenn ich also alleine arbeite, dann brauche ich nicht zu beschreiben, weshalb es hier eine Veränderung gibt oder dort etwas fehlt. Bei einigen Songs, die mir jemand anvertraut, ist vielleicht nur die Bass-Spur interessant. Manchmal ist es aus einem ganzen Song nur ein einziger Ton, ein Sound, eine Klanginterferenz, die unbeabsichtigt entstanden ist. Aber den höre ich und weiß, dass er eine aufregende Struktur tagen kann, vielleicht einen ganzen Song.

EMO: Aller Geldsorgen sollten Sie längst enthoben sein. Wie wichtig ist für Sie dennoch der kommerzielle Erfolg eines Projektes wie "A-U-T-O-B-A-H-N"?

Sauer: Erfolg ist immer erhebend. Es ist richtig, dass ich nicht auf das Geldverdienen durch solche Projekte angewiesen bin, die ich ja neben meiner hauptsächlichen Arbeit mache. Aber Erfolg ist immer eine Bestätigung für die investierte Arbeit und freut einen, und damit meine ich nicht den finanziellen Effekt. Meine Projekte vereinen stets viele Ideen, an denen ich seit Jahren gearbeitet habe. Und wenn etwas dann fertig ist und offensichtlich ein Publikum findet - das ist einfach euphorisierend.

EMO: Sie haben einmal geäußert, heutzutage könne wirklich jeder Amateur Elektromusik für den Heimgebrauch programmieren. Die amerikanische Musikerin Laurie Anderson, hat sogar kürzlich beklagt, dass moderne, preisgünstige Technik Unmengen an schrecklicher Amateurmusik provoziert. Verstehen Sie den Ärger, der Menschen wie Laurie Anderson umtreibt?

Sauer: Nehmen wir doch einmal die Entwicklung der Fotografie. In deren Anfangszeit war es sehr schwierig und aufwendig, ein Bild zu fotografieren und zu entwickeln. Aber heutzutage kann jeder Mensch Bilder aufnehmen, kann fotografieren, wenn er möchte sogar mit seinem Telefon. Da ist es doch keine Frage, dass an die 100 % aller Fotografien, die täglich entstehen, absoluter Mist sind. Aber es ist nun halt einmal so und nicht mehr zu ändern. In der Musik sieht das doch ähnlich aus. Wir schwimmen jetzt schon in einem Ozean von Melodien und Liedern, drohen darin zu ertrinken. Aber am Ende sind für einen persönliich dann doch nur die Songs interessant, die wie gute Fotografien sind, nämlich aufregend und auf irgend eine Art faszinierend. Im Grunde hat Frau Anderson natürlich recht, aber was will, was kann man dagegen machen?

EMO: Gibt es jemanden, der Sie persönlich quält mit seiner Musik?

Sauer: Mehr Individuen als Sie sich vorstellen können. immer wieder bekomme ich CDs mit Musik zugeschickt. Ich verstehe das als eine Hommage an meine Sache mein Hessischen Rundfunk vor víelen, vielen Jahren, als ich diese Nachwuchsförderung in's Leben rief. Sicher denken heute noch Menschen, dass ich sie fördernkann, aber das ist ein Fehlgedanke. Gerade letzten Monat habe ich mir zum Beispiel Musik anhören müssen, die mir ein Freund vorgespielt hat. Der ist studierter Philosoph, war in einen unangenehmen Gerichtsfall involviert und ein sehr guter und sehr teurer Anwalt hat ihm dabei aus der Patsche geholfen. Als Honorar dafür hatten die beiden ausgehandelt, dass mir mein Freund eine CD mit Liedern dieses Anwalts vorspielen muss und ... so ist das Leben.

EMO: Gibt es da keine Ausnahmen?

Sauer: Natürlich, sonst würde doch die Welt untergehen (lacht!). Ich gehe selbstverständlich mit offenen Ohren durch die Welt und frage auch in einem Plattenladen schon mal, was das für eine CD oder Platte ist, die dort gerade gespielt wird. Oder ich komme in Kontakt mit Menschen, die von mir Musikinstrumente kaufen und auf deren Webseiten höre ich dann vielleicht Musikschnipsel, die mir gefallen. Etwas lernen resp. mich freuen kann auch ich noch und das tagtäglich.

[...to be continued...]

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